Rezensionen zu ‚Doppelleben‘

Die Schlampen des Richters

SPIEGEL, 19.5.2003

Von Volker Hage

Der britische Autor Tim Parks erzählt in seinem neuen Roman Doppelleben bravourös von den Fallstricken sexueller Untreue.

Daniel Savage hat es geschafft: Der Jurist ist zum Richter einer Strafkammer ernannt worden, und er hat sich entschlossen, endlich der Familienvater zu werden, der er bisher nur nach außen hin war. Er will – im neuen Heim – seinewr Frau fortan treu sein, sich um die Kinder kümmern und ein Leben führen, wie es sich für einen Richter Ihrer Majestät ziemt, der im Amt Perücke trägt und mit „Euer Ehren“ angesprochen wird.
„Endlich herrscht Klarheit“, notiert Savage in sein Tagebuch, das er lange vernachlässigt hat. „Die Zeit der Metamorphosen ist vorbei. Ich habe mich selbst gefunden “ Schluss mit den Geliebten, Schluss mit dem Doppelleben! „Doppelleben“ – so lautet der Titel der deutschen Ausgabe des neuen Romans von Tim Parks, 48, des britischen Schriftstellers, der seit vielen Jahren mit seiner Familie in Italien lebt.
Parks wäre nicht der bewährte Erzähler und Spezialist für verworrene Familienbeziehungen, wenn er sich nicht genüsslich auf die Fallstricke konzentrieren würde: In diesem Fall zieht er über 440 glänzende Prosaseiten einen Spannungsbogen – Überfälle jeder An inbegriffen. Richter Savage hat ein paar Probleme. Zum einen muss er damit leben, dass er seinen Posten vornehmlich seiner Hautfarbe verdankt: Er, britischer Staatsbürger, ist ein Schwarzer (Daniel wurde als Kind adoptiert), und es war offenbar opportun, einen solchen Mann an der Kammer zu haben. Zum anderen sind da die Anrufe von Minnie, einer jungen Koreanerin: seine Erblast aus der Vortreue-Periode, eine Erblast, die – wie in dem US-Spielfilm „Eine verhängnisvolle Affäre“ – zum Desaster werden könnte. Denn mit ihr, einer Geschworenen, hat er sich eingelassen, während der entsprechende Prozess noch im Gange war.
Auf der Suche nach der Koreanerin trifft er in einem Lokal mit ihrem Vater und ihren Brüdern zusammen, die ihn als Zuhälter beschimpfen. Erst später wird er erfahren, dass die junge Frau aus Trotz ihrer Familie gegenüber gesagt hat, sie sei bei ihrem „schwarzen Zuhälter“ gewesen. Da ist Richter Savage schon übel zusammengeschlagen worden, auf einem Auge fast blind – und der neue Held der Nation: Alle glauben zunächst, er sei wegen seiner Prozessführung von Rassisten überfallen worden.
Das Bild wandelt sich, als Savage, wieder einigermaßen bei Kräften, der Polizei verspätet von den Koreanern berichtet und einiges davon durch eine gezielte Indiskretion in die Presse kommt. „Betrachten Sie es doch einmal so: Man hat Sie zu einem Helden gemacht, und deshalb sind Sie jetzt reif für einen Skandal“ tröstet ihn der ermittelnde Kommissar.
Die Lage spitzt sich zu, weil nun auch des Richters Ehefrau misstrauisch wird. Wie viele Geliebte es denn nun insgesamt gewesen seien, fragt sie. „Was soll die Zählerei?“, erwidert er trotzig und gibt dann die Summe der Ehebrüche preis: 21. „Lass uns die Schlampen beim Namen nennen!“, schreit seine Frau, die sonst so besonnen und lebensklug ist.
„Niemals abschließend über eine Gegend urteilen, wenn die Sonne scheint“, ist ihr Leitspruch – und nun sitzen sie da in ihrem neuen Haus: die störrische Tochter, der weinende Sohn, Mann und Frau.
Tim Parks hat um diese Ehegeschichte, deren Ausgang offen bleibt, ein dichtes Netz aus Krimi-Handlung und Gerichtsdrama geschlungen. „Doppelleben“ ist ein brillanter Gesellschaftsroman, der dem Leser mit Bravour auch die komische Seite des Schreckens serviert.

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