Literaten lächeln leise
Stilvolle Zerstreuungen: Tim Parks macht sich Gedanken
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30.6.2010
Von Christoph Bartmann
Einmal aß Tim Parks bei einem Festbankett dem großen V S. Naipaul gegenüber. Der erkundigte ich irgendwann höflich nach Parks‘ Veröffentlichungen. „Ich beging den Fehler,“ erinnert sich Parks „meine Antwort mit der selbstgefälligen Bemerkung zu beenden: ,Die Rezensenten äußern sich im allgemeinen freundlich.'“ „Ach Sie lesen Rezensionen?“ fragte Naipaul. Das tue er nie. Schließlich sei einem ja die Qualität der eigenen Arbeit auch ohne Rezensenten bekannt.
Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein, gleich ob ihn Rezensenten tadeln oder loben. Schriftsteller wird, so führt Tim Parks an Beispielen wie Naipaul oder Salman Rushdie überzeugend aus, wessen Verlangen nach Anerkennung auf unaufwendigere Weise nicht zu stillen ist. Wer von den Sterblichen den Schriftsteller-Gott lästert, erntet Haß und wer ihm huldigt bestenfalls ein müdes Lächeln. Denn was kann es die Gottheit kümmern, wenn ein Unwürdiger ihren wahren Wert erkennen will? „Könnte es sein“, fragt Parks „daß es V.S. Naipaul unglücklich machte, wie glücklich er darüber war, bei Konferenzessen hofiert zu werden?“ In einem eleganten kleinen Essayband widmet sich Tim Parks neben mancher Zerstreuung über Ehebruch, Treue, Ruhm, Gespenster oder Magie auch der Frage, wie und warum es bei ihm mit dem Schreiben losging. Und zwar mit der Nachahmung von Beckett und Henry Green. Seine Götter waren eher Stilisten als Moralisten, eher Eigenbrötler als Präzeptoren, aber Götter waren sie erst recht. Gott sein, meint Parks sei die einzige Beziehung, die ein Schriftsteller zu einen Lesern haben will. Wobei der Weg dorthin mühsam sein kann. Der Autor erinnert sich an Jahre des Misserfolgs, in denen er zur Untermiete in grauen Vorstädten hauste und Absagebriefe bekam, genug, um mit ihnen den Buckingham-Palast zu tapezieren. Inzwischen hat es Tim Parks wie seinen autobiographisch getönten Betrachtungen zu entnehmen ist doch noch geschafft: Noch ist er kein Literaturgott, aber unter den irdischen eine erfreuliche Erscheinung. Er lebt seit langem in Verona, unterrichtet an der Uni und hat sich als Autor und Übersetzer einen Namen gemacht den sich vielleicht sogar Naipaul merken kann.
“Seltsam zwitterhafte Texte“ enthalte sein Buch, bemerkt Parks vorab. Er wollte in ihm die „enge Beziehung zwischen Erkenntnissen die zeitlos sind, und den fortdauernden Geschichten, die unser Leben ausmachen darstellen“. Was Parks da definiert, kennzeichnet den Essay insgesamt. In diesem zwitterhaften Metier, das Parks „Zerstreuungen“ nennt, ist er ein Könner. Seine Themen und Probleme sind aus dem Leben gegriffen, seine Lehren aus der Literatur. Hinter den trivial scheinenden Abenteuern des Alltags wittert und offenbart Parks den „metaphysischen Charakter mancher Sehnsüchte. Seine im Schnitt zehn- bis fünfzehnseitigen Essays sind witzig und pointiert wie Kolumnen und doch wird man bei Parks‘ Divertimenti stet Teilnehmer an weit abschweifenden, aber konzentrierten Gedankengängen.
Sogar dem müden Thema „Europa“ haucht Parks neues Leben ein, indem er, unspektakulär genug, von einer Busreise erzählt, die er 1993 mit einigen Veroneser Studenten und Kollegen nach Straßburg unternahm. Man wollte dort dem Europäischen Parlament eine Petition übergeben. Im Bus, während die anderen Schlager singen liest Parks – so sind Essayisten – Platons „Staat“. Da Wetter ist wechselhaft, man passiert ein paar Grenzen, ein mitreisendes
Mädchen beklagt ein gestörtes equilibrio interiore, der Essayist liest im „Staat“, und schließlich kommt die Gruppe in Straßburg an. Hier herrscht, so fällt Parks auf, derselbe
Gegensatz zwischen Idee und Ausführung wie bei Platon, der Gegensatz nämlich zwischen Vision und Richtlinie. „Ich bin in Großbritannien geboren“ grübelt Parks. „Seit zwanzig Jahren lebe ich überwiegend in Italien. Zum Teil fühle ich mich immer noch als Engländer … Und zum Teil fühle ich mich al Italiener. Italien bedeutet für mich Zuhause, Arbeit, Frau und Kinder. Als Europäer habe ich mich noch nie gefühlt.
Ich frage mich oft, ob es nicht besser wäre, wenn ich mich al Europäer fühlen könnte, ähnlich wie ich mir als Kind gewünscht habe, ich könnte an Gott glauben. Kaum ein Essay, in dem nicht von Gott die Rede wäre. Tim Parks ist, auch davon handeln seine Essays , der bibelfeste Sproß eines anglikanischen Pfarrhauses.
Er werde den Leser nicht mit neuen Gedanken konfrontieren verspricht Park zu Beginn des Buches. Wo Originalität nicht zählt, ist Stil alles. Wa das erzählende und nachdenkende Ich in Tim Parks Essays mitzuteilen hat, ist selbst dann von Interesse, wenn es bloß mit dem Bus von Verona nach Straßburg und zurück gefahren ist. Den Unterschied macht der Stil.